Wir haben in unserer reichen Gesellschaft den Wohlstand teuer erkauft: das Klima ist aus den Fugen geraten, wir zerstören Ökosysteme, aber auch das Leben von Menschen, die wie Sklaven in Fabriken schuften.
Ab und zu kommt dann das schlechte Gewissen und wir fragen uns, warum es uns im Westen so gut geht und es den Menschen in der Dritten Welt, in einfachen Kulturen so schlecht. Aber stimmt das wirklich? Nein, meint Dittmar, denn schlussendlich sind wir in einem Goldenen Käfig gelandet. Wer ist denn arm? Wer in Zahlen gemessen nur ein paar Euro verdient? Aber nein, denn ein Mensch kann mit einem Euro pro Tag in einer indigenen Kultur leben und mehr Bedürfnisse abdecken als ein Arbeiter in einer teuren Metropole, wo es auch viele „höllisch unglückliche“ CEO´s und Unternehmer gibt. Und verglichen mit vielen Menschen auf der Welt, die sehr wenig Einkommen generieren können, scheinen viele in unserer Gesellschaft sehr arm.
Dittmar hat 5 Symptome unserer Arbeit ausfindig gemacht: 1. eine chronische Unzufriedenheit (die wohl auch darauf zurückzuführen ist, dass wir permanent in Dinge investieren, die Gesellschaften vor uns über tausende Jahre hinweg nicht zum Leben gebraucht haben); 2. unser Verhältnis zur Zeit, das oft in Hetze und Stress mündet; 3. Einsamkeit, 4. eine weit verbreitete innere Leere, die oft aus einem Gefühl von Sinnlosigkeit herrührt und 5. unsere Süchte, darunter auch die Sucht nach immer mehr Geld.
Aber Geld macht nicht glücklich, das wissen wir eh schon seit langem. Wohlstand hingegen schon. Dittmar schlägt eine schwierige, aber elementar wichtige Aufgabe vor, nämlich die Begrifflichkeiten Wohlstand und Reichtum voneinander zu trennen. Sie werden in unserer westlichen Kultur gerne als Synonyme verwendet, dabei meinen sie doch radikal Verschiedenes.
Unserer Maxime von Reichtum stellt sie fünf Arten von Wohlstand gegenüber: Zeitwohlstand, Beziehungswohlstand, kultureller Wohlstand, ökologischer Wohlstand und spiritueller Wohlstand. Die 5 Dimensionen gehören zusammen, bedingen sich, eines ist ohne das andere nicht möglich.
Zum Thema Zeit analysiert Dittmar, wie ähnlich die Aussage: „Ich habe keine Zeit“ derjenigen von „Ich habe kein Geld“ ist. Wir haben die Merkmale des Geldes auf die Zeit übertragen. Geld ist akumulierbar, und dasselbe versuchen wir mit Zeit; was aber nicht geht, denn Zeit können wir nicht sammeln. Auch der Gleichspruch „Zeit ist Geld“ ist trügerisch und verführerisch. Wir tauschen unsere Zeit gegen Geld ein, und Zeit wird von uns als genussmaximierend betrachtet: „Dann beginne ich mich, bewusst oder unbewusst, jeden Moment zu fragen, ob ich diesen wohl gut nutze, gewinnbringend nutze“. Zeit wird maximierend verwendet: genussmaximierend in der Freizeit, beziehungsmaximierend in der Partnerschaft, erkenntnismaximierend bei Auszeiten, erholungsmaximierend im Urlaub. Aber genau dieses Maximierungsdenken führt zu Zeitarmut, weil eine solche Haltung Zeit konsumieren und nicht mehr erleben lässt. Zeit ist aber nicht Geld, sondern Leben. Zeit ist deshalb auch nicht nur chronologisch, sondern sollte empfunden werden mit dem Begriff, den die Griechen Kairos nannten, eine Art erfüllte Zeit. Zeitwohlstand ist das Erleben des Augenblicks und beruhigt, denn solange man lebt, ist Zeit da ist, und das könnte ein Schlüssel für Gelassenheit und Entschleunigung werden. Leider führt uns aber unser Effizienzdenken ins genaue Gegenteil, nämlich in die Zeitarmut.
Armut auch in den Beziehungen, die früher, in ruralen Gegenden einfach da waren und die man sich heute eben kaufen geht: wer keinen Freund hat geht zum Psychiater und wer Sex braucht zu Prostituierten. Beziehungen zu Menschen sind anstrengend geworden, das Miteinander unbequem (so lautet ein Abschnitt im Buch). Wir unterliegen dem Diktat, „toll sein“ zu müssen und haben auch keine Power, die Konflikte, die natürlicher Teil einer jeden Beziehung sind, auszutragen. Beziehungswohlstand dagegen wäre ein Ort, wo man „nackt sein darf“, einfach ehrlich selbst sein darf, eingewoben „in ein tragfähiges Netzwerk von Verbindungen“. Wie könnte das gehen? Indem man die Hosen runterlässt, die Masken fallen lässt; dafür brauchte es „wertungsfreie Räume“, Rahmen und Strukturen, die Sicherheit und Halt geben könnten. Die Autorin verweist in diesem Zusammenhang auf Inkubationsräume, wo man einen strukturierten Gemeinschaftsbildungsprozess durchlauft und Menschen intensiv Zeit miteinander verbringen
Dittmar will keineswegs das Rad der Zeit zurückdrehen, sondern sehnt sich nach Modellen, die sie in ihrer Jugend auf Bali erleben konnte; und sie erinnert sich an das Leuchten in den Augen der Menschen, wobei sie hier auch Bilder von Südtiroler Bergbauern zitiert, denen sie begegnet ist.
Im Kapitel über den kreativen Wohlstand erinnert sie sich (und auch uns) an Miteinander-Feiern-Gesänge in Südtiroler Dorfgasthäusern, wo sich Gesang, Musik Geselligkeit noch ursprünglich überschneiden konnten. Leider sind wir mittlerweile einer Konsumkultur verfallen, wo einfaches kreatives Sein nicht mehr gewünscht ist: Wer nicht absolut top ist, darf nicht mitmachen; Schöpferische Gestaltungsfreude wäre aber nicht nur für die Potentialentfaltung enorm wichtig, sondern würde uns in einen kreativen Wohlstand führen, der uns glücklich machen könnte.
Das 256 Seiten starke Buch ist – wie es im Untertitel heißt – ein „Plädoyer für neue Werte“. Im Kapitel III stellt sich die Autorin dann tatsächlich die Frage, wie wir aus diesem Hamsterrad der Maximierung von Besitz, Status, Leistung, Konkurrenz, Effizienz, Geschwindigkeit, Erfolg, Profit aussteigen könnten. Vor allem aber macht sie Vorschläge, wie eine Wirtschaft für echten Wohlstand aussehen könnte und bringt viele Beispiele erfolgreicher Unternehmen, die die Wohlstandprinzipien anwenden und damit auch noch erfolgreich sein. Ein lesenswertes Buch, weil es sich Gedanken macht, wie ein für alle „gutes Leben“ aussehen könnte