Ja, es sind Zeiten der Angst. Die steigenden Zahlen weltweit bleiben vor der eigenen Haustür nicht stehen und das Gespenst eines weiteren Lockdown grassiert, mit allen damit verbundenen Sorgen um die eigene Zukunft und die eigene Gesundheit. Deshalb muss es bei allen Entscheidungen zuerst um die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen gehen; zunächst der Mitarbeiter, aber auch der Zulieferer, der Kunden, aller Menschen, die mit dem eigenen Business zu tun haben. In riskanten Zeiten versucht man, Risiken zu minimieren und dabei tut man gut daran, Befürchtungen, auch Ängstlichkeiten ernst zu nehmen und offensiv darauf zuzugehen. Sorgen soll man nie bagatellisieren, selbst wenn sie übertrieben erscheinen. Eine offene, direkte und klare Kommunikationspolitik kann helfen, ein Gefühl der Sicherheit zu geben.
Wir haben hier schon öfters davon geschrieben, wie wichtig Vertrauen in unsicheren Zeiten ist. Ein Partner, der sich Gedanken macht um die gesundheitliche Sicherheit der eigenen Angestellten und Kunden schafft Sicherheit. „Auf Vertrauen bauen“ bedeutet aber auch, eine neue Form der Kundenkommunikation zu finden. Wenn die Welt zugemüllt ist mit Fake News, mit Unwahrheiten und Halbwahrheiten, in Zeiten von Ambiguität und Ambivalenzen, suchen die Menschen nicht nur gesundheitliche Sicherheit, sondern auch Sicherheit in dem, was sie glauben können. Das haben uns die Marken- und Brandexperten ja seit Jahrzehnten gepredigt, nun – in Krisenzeiten – stellt sich heraus, wie recht sie hatten. Ehrlichkeit, Vertrauen, Verlässlichkeit! Die alten Tugenden haben wieder Hochkonjunktur. Unsere Gesellschaft hat „Heimweh nach Wahrheit“, das gilt für Kunden, aber auch für die eigenen Teams.
Die Krise hat zu einem außerordentlichen Experiment und zu einer Arbeitsrevolution geführt, die man so in dieser Form nicht für möglich gehalten hatte. Remote Work, Smart Work, Homeoffice, hybride Arbeitsmodelle haben innerhalb weniger Monate die Art, wie wir arbeiten, völlig auf den Kopf gestellt. Dabei hatte uns die Pandemie überrascht! Nun aber, nachdem der erste Schock vorbei ist und wir uns konkret und erfahrungsstark auf die neue Situation vorbereiten könnten, sollten wir uns Gedanken machen, wie diese Form der Arbeit in Zukunft besser funktionieren kann; da gibt es noch viel Luft nach oben. „Make remote work work“, sieh zu, dass smart work nicht nur ein Slogan ist, sondern tatsächlich umgesetzt wird. Dabei geht es nicht darum, ein neues IT-System zu installieren, sondern vor allem um die Frage, wie denn durch digitale Transformation neue Firmenwerte, neue Unternehmenskulturen und schlussendlich auch neue Produkte generiert werden können
Die neue Welt führt u.a. zu einem extrem schnelllebigen Kundenverhalten. Es ist ja nicht so, dass sich nur die Anbieterseite radikal verändern wird, sondern auch Nachfragen und Kundennotwendigkeiten, die Needs und Erwartungen verändern sich rapide. Deshalb gibt es viel, viel Platz für Neues; Innovation, Kreativität und Mut sind gefragt. Die Hälfte des Weltjahresumsatzes in 20 Jahren wird mit Produkten und Dienstleistungen gemacht werden, von denen wir heute noch keine Ahnung haben. Irgendjemand wird die erfinden! Die sich entwickelnde Künstliche Intelligenz und der „gläserne Kunde“ werden zu vielen weiteren Produktrevolutionen führen und deshalb ist es überlebenswichtig, wenn sich Firmen einen Teil ihrer Ressourcen für die Beobachtung neuer Trends und Tendenzen reservieren.
Mit „Reinventing Organisations“ hat Fredric Laloux das wichtigste Management-Buch unserer Dekade vorgelegt; sein Gedankengut hat es aber erst seit 2-3 Jahren tatsächlich in die Chefetagen jedes vorwärtsschauenden Unternehmers geschafft. Gepaart mit den Schlagwörtern und Konzepten von Resilienz, Antifragilität und im Sog von agilen Mustern, wird es wirklich darum gehen, sehr flexibel auf sich permanent verändernde Umstände zu reagieren. Verantwortliche werden zusätzlich zum notwendigen Überlebenskampf für das Unternehmen auch die Zeit finden müssen, die bisherigen Prozesse grundsätzlich auf ihre Zukunftstauglichkeit hin zu überprüfen und gegebenenfalls auch bereit sein, Alttradiertes über Bord zu werfen.
In VUCA-Zeiten, die geprägt sind von hoher Volatilität und Ungewissheit, machen die herkömmlichen Muster und Dokumente nicht mehr so viel Sinn. Die Jahres- und Quartalsberichte zum Beispiel, die immer noch in vielen Unternehmen dogmatisch doziert und eingefordert werden, sind meistens nicht die Zeit wert, die man in sie investiert. „Prognosen sind schwierig, speziell wenn sie die Zukunft betreffen“ (Mark Twain). Herkömmliche Job-Description und Jahresvereinbarungen sind Kinder vergangener Zeiten und rechtfertigen nicht mehr den bürokratischen und emotionellen Aufwand. Wir müssen kreativere Formen der Beobachtung finden und bereit sein, alte Dogmen zu entsorgen.
Wir haben in diesen letzten 6 – 8 Monaten gemerkt, dass nicht alles, was wir bislang als erstrebenswert erachteten, tatsächlich wichtig ist. Wir haben wieder „Menschliches“ entdeckt und wollen uns auch nicht mehr so schnell wieder davon trennen. Die Klimakrisen und andere drohende Katastrophen, die Ungerechtigkeit auf der Welt und andere Katastrophenszenarien führen dazu, dass immer mehr Menschen – nicht nur der jüngeren Generation – einen Sinn suchen, in dem, was sie tun. Speziell junge talentierte Top-Mitarbeiter suchen nach einer Beschäftigung, die nachhaltig ist und einen höheren Sinn hat als „Geld verdienen“. Es geht darum, eine Erzählung zu finden die einen übergeordneten Sinn verfolgt, an dem man die Tagesaktivität und die Firmenkultur fest machen kann. „Purpose“ heißt das Zauberwort und das wird die Menschen viel mehr motivieren, als kurzfristige Leistungsbelohnungen und Boni. Deshalb werden Unternehme auch ihre gesellschaftliche Verantwortung mehr und mehr wahrnehmen müssen, in Kooperation und nicht mehr in Konkurrenz zu „grünen“ oder „sozialen“ Bewegungen.
erschienen in der Neuen Südtirol Tageszeitung vom 16.10.2020