Darüber schreibt die Boston Consulting Group (BCG) in ihrem heurigen Jahresbericht über die „most innovative companies 2021“, also über jene Unternehmen, welche die Covid-Kurve am besten gekriegt haben. Dabei machen sie einen „Readiness Gap“ aus, eine Kluft, zwischen dem, was sein sollte, was man sich vorgenommen hatte und was notwendig wäre, und dem, was tatsächlich ist.
Klar, nur wenige bestreiten noch, dass es radikale Innovationen braucht oder sitzen zusammen und hoffen, „dass es irgendwie besser wird“. Corona hat vieles beschleunigt und war deshalb auch Augenöffner und Katalysator. Kein Wunder, wenn nun etwa zwei Drittel aller Unternehmensleiter sich selbst und dem Unternehmen quasi ein Versprechen, eine Verpfllichtung zur Innovation abgeben. Ich selber erlebe gerade als Berater von zwei internationalen börsennotierten Unternehmen, wie radikal deren CEO´s von ihren Managern und Mitarbeitern die Bereitschaft zu einem kollektiven innovativen Denken einfordern und bereit sind, dafür Althergebrachtes über Bord zu schmeißen. Weil die Lorbeeren von gestern für das Morgen nicht mehr reichen werden.
Zu viele Unternehmen schaffen es aber noch nicht, tatsächliche Wertschöpfung aus dieser aktuellen Wende und ihren Innovationsbemühungen zu ziehen, weil so – so der Befund vieler Analysten – noch nicht den richtigen „Bereitschaftsgrad“ (readiness) haben. Es verwundert daher nicht, dass gerade Unternehmen wie Pfizer oder Moderna, die bereits einen hohen Grad an Innovationsbereitschaft hatten, die ersten mit einem Impfstoff auf dem Markt waren. BioNTech hatte den Mut, alles andere in der Pipeline zu stoppen und sich zu hundert Prozent auf den Corona-Impfstoff zu werden, was nicht bei allen im Unternehmen gut ankam. Aber es hatte Erfolg. Und wir haben alle davon gehört, wie jene Unternehmen, die den Sprung ins Online-Geschäft rasant geschafft haben, zu den großen Gewinner im Corona-Jahr 20 gehören. Andere Innovatoren haben den direkten Weg zum Kunden gesucht („kommt der Kunde nicht mehr zu mir, gehe ich zum Kunden“), während wiederum andere die Zeit genutzt haben, Erfahrungen mit AI – also Künstlicher Intelligenz – zu machen, um Prozesse zukünftig zu beschleunigen. Wer zuerst da ist, hat den Markt.
BCG macht 5 Treiber aus, die ausschlaggebend sind, wie bereit ein Unternehmen für Innovation ist, so dass aus der Innovationsidee tatsächlich auch Gewinn geschlagen werden kann.
Wir haben hier schon oft davon geschrieben, dass Klarheit ein ungemein wichtiger Faktor ist in Zeiten wie diesen, wo eben vieles um uns herum unklar ist. Wir schätzen Politiker mit klaren Aussagen gegenüber dem wischi waschi Lavieren, und ein Leader, der mit klaren Worten die Situation umreißen kann – und sei sie noch so schlimm – erweckt mehr Vertrauen und Nachfolgebereitschaft als Schönredner und Schönwetterpropheten. Innovatoren kommunizieren klare Absichten in Effektivität und Effizienz und setzen klare Ziele. Die Mitarbeiter werden strategisch involviert, Wege zu finden, wie Kunden und der Gesellschaft besser gedient werden kann. Beispiel: Für eine Top 1000 Convention einer Firma in Paris (also mit den 1000 führenden Mitarbeitern des Unternehmens) lassen wir gerade eine Aufgabe für jeden Einzelnen vorbereiten, in dem diese Mitarbeitern jeweils drei innovative Vorschläge zu jedem einzelnen Punkt aus dem Wertekatalog der Firma für sich definieren müssen, für sich persönlich und für ihr jeweiliges Team. Und wir wollen verlangen, dass die Summe dieser Vorschläge dann zu einem wiederholbaren, erkennbaren Versprechen gegenüber Mitarbeiter, Kunden und Gesellschaft führt: Welche Veränderung werden Kunden, Mitarbeiten, Shareholder in einem Jahr konkret sehen?
Goethe schreibt zwar im „Faust“: „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“, aber dieser Grundsatz ist aktuell nicht zielführend. Gegenüber der Gefahr des Verhaspelns ist es besser, klare Innovationsfelder auszumachen und sich darauf zu konzentrieren. Sonst hält man am Ende zu viele Wassermelonen in den Händen, und die Gefahr, dass man eine nach der anderen beim Hantieren verliert und schließlich nichts mehr übrigbleibt, ist groß. Für Innovationen müssen ja immer auch Ressourcen zur Verfügung gestellt werden – finanzielle, zeitliche, personelle – und es ist besser, sich auf jene Felder zu konzentrieren, wo man reelle Chancen sieht, sich gegenüber den Mitanbietern einen erkennbaren Mehrwert zu erarbeiten. Das Problem bei einem anderen internationalen und nebenbei extrem erfolgreichen und innovativen Unternehmen, das ich beraten darf, hat der CEO so auf den Punkt gebracht: „Wir sehen vor lauter Bäumen den Wald der Zukunft nicht“.
Nicht jede Idee ist bahnbrechend, nicht jedes Start Up ist erfolgreich, nicht jede Innovation ist zielführend (wie in der Kunst: nicht alles, was sich mit dem Prädikat „zeitgenössisch“ schmückt, ist dadurch per se wertvoll; im Gegenteil…). Weil Fehler zur Entwicklung gehören und deshalb für jeden Innovationsprozess eine Denkvariante darstellen müssen, ist es notwendig, Indikatoren festzulegen, um den Fortgang der Innovation zu beobachten, zu bewerten und notfalls zu stoppen. Dafür gibt es KPI´s, so genannte Key Performance Indicators, also Mess-Instrumente, mit denen überprüft, ob man „on track“ ist (richtig unterwegs) oder nicht. „Fail fast“ ist die Devise: „Wenn du scheiterst, dann scheitere schnell“; und „fail forward“, also scheitere nach vorn, so dass dein Scheitern den Grund legen kann für die nächste Verbesserung, oder: „Die Scheiße, die du baust ist der Dünger für die nächste Entwicklung“ (das gilt im Privaten übrigens genauso).
Die besten Teams – das wissen wir mittlerweile – sind agil und autonom. Hierarchien sind phantasieloser und ineffizienter als selbstverantwortliche Zellstrukturen, Ermächtigung (Empowerment) besser als Kontrolle. Und Diversität ist der Königsweg zur Kreativität: also „multi“ bei Geschlechtern, Generationen, Abteilungen. Fachleute mit Fachidioten mischen bringt erstaunliche Ergebnisse…
Innovation ist etwas für die Besten im Unternehmen. Von ihnen hängt die Zukunft der Firma ab. Also werden sie Prestige und Unterstützung genießen. Wie oft habe ich erlebt, dass tolle, motivierte Leute aus dem mittleren Management in meine Kreativitäts- und Innovationsworkshops gekommen sind, bereits frustriert, der Chef würde eh kaum etwas davon umsetzen. Für eine wirksame Veränderung braucht es eine Innovationskultur, die vom Chef gewollt und getragen und von den Besten in der Mannschaft getrieben wird. Sonst veraltet die Firma und beginnt zu stinken, und wie wir wissen: es stinkt immer vom Kopf her ...
(Foto Jing Ge)