Als Mr. Taylor vor 111 Jahren an seinem Buch „The principles of scientific Management“ schrieb und damit die Basis für den Taylorisms legte, war die Welt noch in Ordnung und überschaubar, die Märkte waren – wie die Ökonomen sagen - träge. Die Basis für das moderne effizienzorientierte Management war gelegt und trat seinen Siegeszug an, wurde zum Credo kapitalistischer Gesellschaften im vergangenen Jahrhundert. Taylor trennte die Denkenden von den Arbeitenden und sanktionierte damit klassische Hierarchie und funktionale Trennung: oben wurde gedacht, kommandiert und kontrolliert; unten wurde nicht gedacht, sondern gefolgt und ausgeführt. Die Vorgesetzten waren „die da oben“; sie planten, kontrollierten, gaben Anweisungen, splitteten Zuständigkeiten und Aufgaben in Teilaufgaben und verteilten sie an „die da unten“, ohne gute Ausbildung, fremdgesteuerte kleine Rädchen ohne Verantwortung im großen Prozess effizienter, gesteuerter Produktion. In der selbstverliebten Illusion einer immerwährenden Beherrschbarkeit von Kompliziertheit, merkte man nicht so recht, dass die in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts aufkommende hochdynamische Globalisierung und Digitalisierung diesem Modell an den Kragen gingen.
Der tayloristische Management-Ansatz funktionierte lange Zeit hervorragend, weil es perfekt war für eine komplizierte Welt. Kompliziertes ist bekannt und deshalb vorhersehbar, kontrollierbar, man kann tolle und logische Ursache-Wirkung-Schemata zeichnen, Forecast und Prognosen machen einen Sinn, weil sich eh alles ziemlich objektiv entwickelt und voraussagen lässt. Alles, worüber man eine Gebrauchsanweisung schreiben kann, gehört zur Welt der Kompliziertheit: eine Uhr, eine Waschmaschine, ein Auto, ein Computerprogramm. Es ist so wie es ist, die einzelnen Teile sind wie sie sind, man weiß, wo sie sind, und Management organisiert das Beherrschbare.
Komplexe Systeme funktionieren völlig anders. Hier gibt es zwar immer noch einzelne Teile, aber ihr Zusammenspiel ist nicht mehr unveränderlich. Im Gegenteil, wie sich die einzelnen Teile bewegen werden, ist unklar, nicht mehr vorhersehbar. Nicht nur, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile, man kann gar keine Summe mehr machen, denn andauernd verändern sich die einzelnen Teile, die mitgedacht werden müssen. Es gibt wenig Rufezeichen, dafür aber viele Fragezeichen. Das Gesetz von Ursache und Wirkung gilt zwar immer noch, aber Monokausalitäten sind selten geworden. Viele gleichzeitig auftauchenden Ursachen verändern die Wirkungen permanent, diskontinuierlich, disruptiv.
Unsere aktuelle Situation in Corona-Zeiten ist das perfekte Beispiel für eine komplexe Zeit. Und wenn wir das Gefühl haben, die Maßnahmen der Politik, des Krisen-Managements würden kaum greifen, liegt das auch daran, dass die Verantwortlichen mit den Prinzipien der Komplexität nicht vertraut sind und immer noch mit den Werkzeugen der Kompliziertheit Lösungen suchen. Diese Tatsachen verändern das klassische Management wesentlich.
Und „die da unten“ wollen mit eingebunden werden in die Entscheidungen. „Die da unten“ sind nicht mehr dumm, sondern sind sehr oft die Experten, die nahe am Markt, an den Bedürfnissen der Menschen (und der Kunden sind); sie wissen oft besser, was gebraucht wird als „die da oben“. Management von Komplexität erlaubt, dass diejenigen das Problem lösen, die es können (und nicht die, die den dafür akademischen Titel oder den richtigen Platz in der Hierarchie haben). Austausch auf Augenhöhe nennt man das, ohne hierarchische, eingefahrene Strukturen.
Das klassische Management funktionierte über Disposition: Verordnungen, Regeln, Anweisungen. Das funktioniert in trägen, undynamischen Zeiten, aber kaum mehr in lebendigen, sich permanent verändernden Systemen. Komplextität braucht weniger Disposition, dafür umso mehr Kommunikation. Das ist ja genau das Thema, das aktuell von den Regierenden eingefordert wird: Redet mit uns, sagt uns was läuft, dann können wir euch helfen. Kommandieren und Kontrollieren ist unwirksamer geworden als Kommunizieren.
Kompliziert war funktional geeignet für starre, beinahe unveränderliche Systeme. Lebendige, hochdynamische Systeme sind aber beweglich, verändern sich permanent. Es ist doch ganz klar, dass eingefahrene Hierarchien zu langsam, zu starr, zu phantasielos für eine unüberschaubare Welt sind. Komplexe Systeme sind Systemhaufen von Eco-Systemen; es wummelt und wotzelt permanent irgendwo. Systemisches Management denkt und handelt deshalb an der Verbesserung der Interaktion der Systeme und schraubt nicht an Einzelelementen herum, die das Ganze kaum verbessern werden.
Deshalb wird Management der Zukunft sich vermehrt mit Arbeit in Beziehungsnetzen und Mini-Eco-Systemen beschäftigen. Es ist Zeit, viele (nicht alle) alte Werkzeuge über Bord zu werfen. Sie sind oft nur mehr Ballast, hinderlich und bringen sehr oft keine Lösung. Teilbereiche in den Organisationen sind nach wie vor mit den Effizienz-Modellen bewältigbar, unveränderlich Überschaubares kann man nach wie vor managen; aber die großen Herausforderungen der Zukunft wird man nur mehr mit hybriden Formen lösen können, indem Werkzeuge der Komplexität, Selbstorganisation, Wertschöpfungskreise, Agilität, Open Space Techniken usw. in einem systemischen Ansatz zusammenspielen und koordiniert werden.
„Komplexität: Man weiß nicht einmal genau, wie viele Faktoren das System in gegenseitiger Wechselwirkung beeinflussen.“